Erinnerungen deutscher Kriegsgefangener an das Lager Elsterhorst

 
Quelle:

Erinnerungen von Herrn Hubertus Kindler, Schweinfurt

  erschienen in "Das Lager Elsterhorst" von Karl-Heinz Hempel, Neue Hoyerswerdaer Geschichtshefte Nr. 2 (1999) 
 

"Etwa am 10.05.1945 kam ich in Pirna in russische Gefangenschaft. In der Nähe von Dresden wurden wir gesammelt. In einem riesigen Gefangenenmarsch trieb man uns auf den Straßen unter strenger Bewachung von Dresden nach Nardt. Wer nicht konnte, wurde erschossen. Ebenso wer flüchtete. Aus den Orten und von den Feldern holten die Bewacher wahllos männliche Zivilisten von 14 Jahren an, um die in Dresden übernommene Zahl der Gefangenen im Lager Nardt abzuliefern. Meiner Schätzung nach waren ca. 8000 -10 000 Männer in diesem traurigen Gefangenenwurm.

Am zweiten Tag erreichten wir dann das Lager Hoyerswerda. Es lag außerhalb der Stadt bei der Ortschaft Nardt. Die Baracken waren bereits total überfüllt. Wir blieben unter freiem Himmel. Von den persönlichen Sachen war uns nur das geblieben, was wir auf dem Leib hatten, dazu der Brotbeutel mit Waschzeug, das Essgeschirr und die Ausweise.

Die Gefangenen wurden nur zahlenmäßig in Hundertschaften erfaßt. Läuse, Flöhe und in den Baracken die Wanzen waren eine furchtbare Plage. In großen Kammern, die von unten erhitzt wurden, versuchte man unsere Sachen zu entlausen. Oft brannte solch eine Kammer aus und 100 Männer bekamen dann irgendwelche Beutesachen.

Immer wieder, besonders bei der Entlausung, kontrollierte man unter den Armen und der Zunge, ob man eine Tätowierung oder eine verdächtige Narbe feststellte. Alle so Gefundenen nahm man besonders unter die Lupe. Die SS und Spezialtruppen hatten die Blutgruppe eintätowiert. Außer denen suchten die Russen Spezialisten der V- und Spezialwaffen. Die Offiziere und die Spezialisten kamen in besondere, bessere Abteilungen, in denen es viel günstiger war als im gemeinen Lager. Das betraf das Essen, die Bekleidung und Unterkunft. Die Versuchung war groß, doch es haben sich nur wenige gemeldet.

Bald traten die ersten Krankheiten auf. Die meisten Männer waren geschwächt. Die einmalige Wassersuppe am Tag förderte die Sterblichkeit in kurzer Zeit. Die Toten wurden auf Wagen geworfen und zum Tor hinaus in den Wald gefahren und dort verscharrt. In einer Senke wurden die Leichen in einer Reihe nebeneinander gelegt und mit Boden zu ihren Füßen zugedeckt. Am Tag darauf folgte die nächste Reihe. Mit dem Aushub für die nächsten Tage wurden diese Toten abgedeckt.

Die ersten Monate waren die Namen der Gefangenen nicht registriert. Somit auch nicht die Namen der Toten. Es konnte also nur die Anzahl der Verstorbenen von der russischen Verwaltung festgehalten werden. Mitte Juli begannen die Abtransporte. Am hinteren Lagerausgang, in Richtung Osten, wurden Gefangene durchsucht und in Waggons geladen. Es waren immer zehn Hundertmannschaften. Also 1000 Mann pro Zug. Das beobachtete ich bis August 1945. Ein bekannter Gruppenführer nahm mich eines Tages zur Seite und verriet mir, daß Arbeitskräfte für eine Versorgungskolonne des Lagers gesucht werden. Ich könne mich melden, dann habe ich eine bessere Chance, der Verladung zu entgehen. Ich meldete mich und kam zu einem Kartoffelkommando, das für das Lager und die Transporte Kartoffeln verladen mußte. Die Waggons wurden in Görlitz und Niesky verladen.

Als ich nach etwa zwei Wochen in das Lager Nardt zurück kam, war es fast leer. Hier waren nur noch Alte, Kranke und Jugendliche im Lager. Wir wurden sofort registriert und ich kam als Jugendlicher in eine eigene Baracke.

Der Gruppenführer war noch da, er konnte etwas russisch und hinkte auf einem Bein.

Wieder kam er nach ein paar Tagen zu mir und sagte, daß Jugendliche und Alte für die ersten Entlassungen zusammengestellt werden. Ich solle mein Soldbuch vernichten und mich ein Jahr jünger machen. Da er mich schon damals mit dem Kommando so gut beraten hatte, zögerte ich nicht lange. Eine russische Ärztin musterte uns, und ich kam in die Baracke zur Entlassung. Es war der 22. August 1945 und ich bekam die Nummer 338. Der Schein wurde von einem Russen ausgestellt und wir mußten sofort in eine andere Umzäunung. In unbegreiflich kurzer Zeit holte man uns heraus, ließ uns vor dem Tor antreten, immer zehn Mann in einer Reihe, der Nummer nach aufgestellt. Jeder mußte seinen Entlassungsschein in der Hand halten und vorzeigen. Ein Russe schaute im Durchgehen auf die laufende Nummer. Dann trat die Reihe drei Schritte vor und die nächste kam dran. Am Ende zählte man noch einmal die Reihen und dann wurden immer 100 Mann durch das Tor nach draußen gelassen. Bei der vierten Gruppe war ich dann dabei. Es ging in Richtung Hoyerswerda.

Lange Schlangen standen am Rathaus an. Wir fragten einige Abgefertigte, was da oben geschieht. Als wir feststellten, daß nur der Name und das Ziel in Deutsch neben das Russische geschrieben wurde, entschlossen wir uns, selbst zu handeln. Viele Leute aus Hoyerswerda standen vor den Häusern und frugen nach Angehörigen. Wir erbaten uns einen Federhalter und Tinte. Schnell waren unsere Scheine fertig. Das nächste Ziel war der Bahnhof. Mit einem überfüllten Zug fuhren wir zu dritt auf dem Putzerbänkchen vorne auf der Dampflok als Lokfiguren in Richtung Berlin."