Erinnerungen französischer Kriegsgefangener an das Lager Elsterhorst

 
Quelle: Jacques de la Vaissiere, Silesie, Morne Plaine , 0J. S. 1 ff.
  erschienen in "Das Lager Elsterhorst" von Karl-Heinz Hempel, Neue Hoyerswerdaer Geschichtshefte Nr. 2 (1999) 
 

"Der Empfang, den uns die Bevölkerung bereitet, ist jedoch nicht unangenehm. Der Zug bringt uns aus Mainz hierher und als wir aus ihm aussteigen, sehen wir an der Bahn Frauen mit schweren blonden Zöpfen, mit weißen Miedern und langen korallenroten oder grünen Röcken und zahllose barfüßige Kinder, deren flachsblonde Haare so hell sind, daß sie weiß schimmern.

Unsere Ethnologen (es gibt alle Berufe in der Kolonne) sagen, daß dies nicht erstaunlich ist, weil diese Menschen nicht Germanen sondern Slawen sind, die erst im 18. Jahrhundert durch Friedrich den Großen neu zu Deutschland hinzugefügt wurden. Was sie auch seien, "Holzköpfe" oder nicht, sie zeigen uns weder Haß noch Verachtung, sehr zum Unterschied zu den Massen im Westen, wo wir unter Anzüglichkeiten, Beleidigungen, Hohngelächter einer froh erregten Menge, die hysterisch tausende kleiner Hakenkreuzfahnen schwenkte, vorbeizuziehen hatten. Hier ist die tiefe Provinz, das flache Land. Man erlebte ohne Leidenschaft das Zeitgeschehen fern der Front und der Politik.

Das Oflag war ursprünglich ein polnisches Stammlager (Stalag), das im November 1939 eröffnet wurde, um unsere Vorgänger im Unglück einzuschließen. Bei unserer Ankunft waren die Polen noch da, ungefähr tausend. Sie waren in den Blöcken der nördlichen Hälfte des Lagers unter riesigen grauen Zelten untergebracht, die das Elend ausschwitzten. Früh am Morgen brachen sie zur Arbeit auf und sangen in mehreren Stimmen ein fein abgestimmtes Marschlied oder vielmehr einen langsamen Redegesang, skandiert und durchdringend in einer unverständlichen Sprache, die wir mit weniger richtigen Stimmen und ein wenig pathetisch paraphrasierten : "ils -e-taiend - a rri- ves - un - deux -trois - a - Ho yers - wer - da."

Nach wenigen Wochen waren die Polen evakuiert, die Zelte zusammengefaltet und durch düstere Holzbaracken wie im Süden ersetzt worden. Der endgültige Aufriß des Lagers ist nun klar: eine lange geteerte Allee bildet von West nach Ost über einige 600 Meter die Achse. Schilder in schwarzen gotischen Buchstaben auf weißem Grund wei­sen sie stolz als nichts weniger als die Adolf­-Hitler-Straße aus.

Die Ankommenden verweigern sich vom ersten Blick an diesem erhabenen Schutz. Sie werden niemals anders als einfach von der Straße sprechen, die ihnen übrigens verboten ist. Sie benutzen sie nur kurz, um sie von Nord nach Süd oder umgekehrt zu überqueren und folgen dabei drei engen Übergängen, einem in der Mitte und zwei anderen an beiden Enden.

Zu beiden Seiten der Triumphstraße des Führers, die den Germanen vorbehalten ist, liegen symmetrisch angeordnet zehn Blöcke, fünf im Norden, fünf im Süden. Jeder bildet ein Rechteck von insgesamt 250 Meter in Nord-Süd-Richtung und 100 Meter in Richtung Ost-West. Insgesamt ergibt sich also ungefähr ein Quadrat von 500 mal 500 Meter, d. h. 25 Hektar. Auf ihm lebt man zu 5000.

Jeder Block setzt sich aus vier massiven Baracken von 70 Meter Länge und 15 Meter Breite zusammen. Sie sind nach Nord-Süd ausgerichtet, drängen sich eine gegen die andere und sind von dunkler nussbrauner Färbung, Unheil verkündend. Ein Ende der Baracke liegt eng an der Straße, das andere Ende blickt zur Umgrenzung. Zwischen diesem und dem äußeren Stacheldraht fügt sich ein kahles Gebiet von ungefähr einem Hektar ein, das die Grünen pompös das Marsfeld nennen, das ist der hehre Ort des zwei- oder dreimaligen täglichen Appells und der Spazierplatz der im Käfig gehaltenen Eichhörnchen.

 

Insgesamt zählt das Oflag also 40 Baracken, von denen einige zum Teil gemeinsamen Aktivitäten gewidmet sind: "Kapelle", "Universität", "Arbeitssaal", "Theater", "Verwaltung". Im Westen der zehn Blöcke ist das Lager durch ein zur Verwaltung gehörendes Vorlager erweitert, das unsere Bewacher und Buchhalter bewohnen, und dieses Vorlager liegt wiederum an einem "Auslager", das sich noch nicht weiter auszeichnet und für die hochgestellten Germanen bestimmt ist. Das Terrain der Gefangenen schmückt sich an vier Ecken mit hohen Wachtürmen aus Holz im Stil der fränkischen Zeit: die Aussichtstürme haben mächtige bewegliche Projektoren und wachsame Maschinengewehre. Die dazwischenliegenden Umgrenzungen werden alle 200 Meter durch auf Stelzen stehende Wachhäuschen unterbrochen, in denen Posten mit einfachen Mausern ihren Dienst tun. Im Inneren folgt auf den Stacheldraht die Todeszone, die aus einem Sandstreifen von fünf Meter Breite besteht und beim Marsfeld durch einen glatten Eisendraht in einem Meter Höhe über dem Erdboden begrenzt ist: das ist der Warndraht, der Draht, der nicht überwunden werden darf, über den hinaus die Posten scharf schießen. Auf dem hellen Grund dieser Randpiste zeichnet sich der Kandidat einer tagsüber oder nächtlich ausgeführten Flucht wie ein chinesischer Schatten ab, so daß ein solcher Versuch etwas von einem Selbstmord hat. Auf der anderen Seite der drei Meter hohen doppelreihigen Stacheldrahtzäune gehen Wachmänner, die Waffe geschultert, hin und her, oft begleitet von unangenehmen und offen franzosenfeindlichen Schäferhunden. Schließlich, das Wesentliche dieser Landschaft ist der schwarze Stachelldraht. Endlos zeigt er seine engen Rechtecke, die auf großen düsteren Pfählen angenagelt sind. Man sieht nur ihn, wohin man sich auch wendet, denn jeder Block ist von den Nachbarblöcken und von der Straße ebenfalls durch eine einfache Reihe der gleichen entmutigenden Art getrennt. Man sitzt wirklich in der Falle.“